Begegnung mit ... Herrn G {T10}

Wolkengebilde 04
Bildrechte ThM

Von: s-claus.t@email.de
An: PfarrerThomas@email.de
CC:
Betreff: Tut mir leid.

Lieber Thomas,

es tut mir leid, dass ich Dich neulich einfach so in der Luft habe hängen, nein, stehen lassen. Ich muss zugeben: Anders als behauptet hatte ich wirklich Tränen in den Augen. Du hattest recht: Es tut auf die Dauer (und das ist bei mir immerhin mehr oder weniger seit der Schöpfung) ziemlich weh, immer auf das zu schauen, was in dieser Welt und bei euch Menschen schiefläuft, und dann auch noch vor Gott immer wieder den Finger drauf zu legen.

Ich wollte einfach mal alleine sein, als Du den Finger in meine Wunde gelegt hast. An Dich hoch in der Luft über Frankfurt habe ich in diesem Moment überhaupt nicht mehr gedacht.

Entschuldige bitte!

Ich war sehr froh, als mir Gabriel erzählt hat, dass er Dich da oben runtergeholt hat.

Es würde mich freuen, wenn wir uns demnächst mal wieder treffen könnten.

Herzlich grüßt Dich
Dein Herr T (Claus)


Von: PfarrerThomas@email.de
An: s-claus.t@email.de
CC:
Betreff: AW: Tut mir leid.

Lieber Claus,

danke für die Entschuldigung. Ich nehme sie gerne an und freue mich ebenfalls, wenn wir uns bald mal wieder treffen. (Abgesehen davon ist das ja eine mir von Gott übertragene Aufgabe. ;-))

Tut mir leid, dass ich genau Deinen wunden Punkt getroffen habe. Manchmal ist Seelsorge gar nicht so weit entfernt von dem, was Du als Satan tust: den Finger in die Wunde legen. Aber wir Seelsorger/innen tun es im persönlichen Gespräch und legen nicht vor Gott oder wem auch immer die Wunden und Defizite der Menschen offen. Das ist wirklich keine schöne Aufgabe, die Du von Gott bekommen hast.

Übrigens war es für mich letzten Endes gut, dass Du mich da oben alleine gelassen hast: Ich hatte eine sehr anregende Unterhaltung mit Gabriel – inklusive Sonnenschirm und Longdrink. Außerdem sind mir im Nachhinein noch ein paar Dinge an unserem Stadtrundblick aufgefallen: Möglicherw …
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???

… eine Büroklammer schwebt von oben auf meinen Bildschirm – mit Sprechblase:
Hallo Pfarrer Thomas! Anscheinend möchten Sie gerade total langweilige Gedanken von Ihnen in eine Email schreiben.
Mein Tipp: Verschieben Sie die entsprechenden Zeilen in eine Fußnote oder löschen Sie sie wieder oder schreiben Sie gar nicht erst weiter.
Wenn Sie Fragen haben oder Hilfe brauchen, schreiben Sie einfach in dieses Feld: ________

??? – Karl Klammer? Hat Microsoft etwa mit dem letzten Office-Update Karl Klammer reaktiviert? Das darf doch wohl nicht wahr sein!

Ich schreibe in das Hilfe-Feld bei der Büroklammer: Eine Fußnote in eine Email?! Meinst du das ernst, Karl?

Die Antwort erscheint sofort: Na gut, dann verschieb die Zeilen halt wenigstens in ein PS am Ende der Email.
Außerdem heiße ich nicht Karl. So hieß dein Vater. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie heißt du denn dann? Und woher weißt du, wie mein V… – Statt zu tippen, habe ich laut gedacht.

Die Büroklammer mit dem animierten Sprechblasen-Notizzettel schwebt nach unten aus dem Bildschirm und landet auf meinem Schreibtisch. Auf dem Zettel ist nun eine Strichzeichnung: ein kleiner Mann in einer Streichholzschachtel und daneben Gandalf.

Ok, jetzt habe ich verstanden. Sie sind … Du bist der Heilige Geist.

Aus den Lautsprechern meines Rechners ertönt eine Stimme: Claus nennt mich gerne auch mal Hans-Günther. Findet er lustig.

Ok, Gott, die Überraschung, die du mir mit dem Heiligen Geist, also mit dir als dem Heiligen Geist, angekündigt hast, ist gelungen.

Bist du sicher, dass ich es auch wirklich bin?

Du meinst, der Zettel und deine Stimme könnten ja auch einfach nur eine Einbildung von mir sein?

Ja: Möglicherweise hast du eine Psychose und hörst deswegen Stimmen. Oder ich bin das Ergebnis irgendeiner anderen geistigen Umnachtung.

Vielleicht gibt es ja so etwas wie eine „Heilige Geistige Umnachtung“. Das wäre dann das, was manche Propheten erlebt haben; oder Mose damals am Sinai; oder auch Jesus bei seiner Taufe und danach in der Wüste.

Oder ich bin doch einfach der Heilige Geist, der mit dir durch den PC spricht und Zettel über den Bildschirm schweben und aus ihm fallen lässt.

Bei Gott ist kein Ding unmöglich, hat Jesus ja mal gesagt; und dass der Geist weht, wo er will – und vermutlich auch, wie er will.

Genau! Und für dich habe ich mir eben das hier einfallen lassen.

Wie gesagt: Überraschung gelungen!
Ähm … Die Diskussion hatte ich ja schon mal mit dir als Gott Vater. Aber ich muss die Frage trotzdem auch dir als Heiligem Geist stellen: Wie soll ich dich anreden?
Heiliger Geist? Hans-Günther? Karl Klammer? Stimme aus dem Off?

Hm. – Gute Frage. Gott und du ist ja schon für mich als „lieber“ Gott reserviert. Hast du vielleicht eine Idee?

Müsste ich eigentlich, wenn der Heilige Geist direkt mit mir spricht.

Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Du bist schließlich keine Marionette. Wenn ich wirke, dann nur zusammen mit dir. Da kann auch was ganz Anderes rauskommen, als ich es mir vorstelle. Die Ideen, die du hast, sind und bleiben deine eigenen.

Gut. Dann wäre meine Idee: „Herr G“ und du. Ist zwar nicht besonders einfallsreich …

… aber es passt zu „Herr T“ und „G“ und „LG“ und lässt außerdem offen, ob das G für Geist oder für Gott steht. Finde ich gut. So machen wir’s.

Aber bitte ohne diese Karl-Klammer-Nummer. Dann lieber mit Stimme aus dem PC oder sonst woher.

Einverstanden. Aber einmal darf ich noch …

Der Zettel mit der Zeichnung drauf und Büroklammer dran schwebt wieder in den Bildschirm hinein und erscheint dort mit folgender Botschaft: Du musst noch die Email an Claus fertigschreiben. Aber vergiss meinen Tipp von vorhin nicht. Und jetzt klick mich bitte weg.

In der Sprechblase erscheint eine Checkbox mit dem Hinweis: Bitte in Zukunft keine Tipps mehr auf dem Bildschirm anzeigen!

Also Tipps hätte ich schon gerne, aber eben nicht mehr von dir als Karl Klammer auf dem Bildschirm. sage ich und klicke die Checkbox an.

Büroklammer und Zettel schweben nach oben aus dem Bildschirm und die Stimme von Herrn G sagt: Sehr gerne. Also bis demnächst.
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Lieber Claus,

entschuldige, dass ich mitten im Satz abgebrochen habe. Ich hatte gerade eine Begegnung mit dem Heiligen Geist. (Und vor ein paar Tagen übrigens auch eine mit Gott Vater.)

Herr G, also der Heilige Geist, hat mir empfohlen, das, was ich noch schreiben wollte über unseren Stadtrundblick, besser gar nicht erst zu schreiben oder zu löschen oder in ein PS zu verschieben. Du findest es jetzt unten im PS und kannst es lesen oder auch nicht. Herr G fand es zu langweilig. Vermutlich hat er Recht.

Ich muss mich jetzt erstmal von meiner Begegnung mit Herrn G erholen.

Herzlich grüßt Dich und hofft auf eine baldige persönliche Begegnung
Thomas
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Thomas Miertschischk
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PS:
Möglicherweise gilt das für jede größere deutsche Stadt, aber bei Frankfurt ist es mir eben ins Auge gesprungen. Wichtige Teile dessen, was Menschen mit Deutschland verbinden, ballen sich hier zusammen: wirtschaftliche Macht (Bankentürme, Börse …); Christentum und die einzelnen Konfessionen (Kirchen); Demokratie (Paulskirche); Europa (EZB-Zentrale); Deutschland als Kulturnation (Museen, Buchmesse, Goethes Geburtsstadt, Goethe-Universität …), als Autonation (Autos, Autos, Autos und die IAA) und als Land des Nationalsozialismus, von dem aus die Shoah technisch und organisatorisch geplant und durchgeführt wurde.

Dafür steht exemplarisch der Poelzig-Bau, die frühere Konzernzentrale der IG Farben. Zu dieser Firma brauche ich nur ein paar Stichworte zu nennen: Arisierungsgewinner; Zyklon B; von einem privaten Unternehmen finanziertes KZ („Lager Buna“, später „KZ Auschwitz III“) ; Zwangsarbeiter; … und eine fast endlose Firmenabwicklung nach dem Krieg (nicht zuletzt mit dem „schönen“ Nebeneffekt der daraus hervorgegangenen Firmen, die Verantwortung für Verbrechen in der NS-Zeit abwälzen zu können.).

Und dann geht es mit dem Poelzig-Bau und der deutschen Geschichte ja noch weiter: Europa-Zentrale der US-Streitkräfte; 1972 Schauplatz eines der ersten tödlichen RAF-Bombenattentate; schließlich Teil der Goethe-Universität und nicht zuletzt Standort der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie, wo ich früher Mitarbeiter war.

Du siehst: Dein Stadtrundblick hat mich zum Nachdenken angeregt. Und jetzt habe ich schon fast Deine Rolle als Satan eingenommen, der auf die dunklen Punkte der menschlichen, in diesem Fall der deutschen Geschichte hinweist, auf die wir mitten im menschlichen Glanz stoßen …