von Pfarrer Thomas Miertschischk
Ein paar Tage, nachdem ich den Teufel zum ersten Mal getroffen hatte, ging ich noch einmal an seinem Grundstück vorbei. Ich hatte ein paar Flaschen dunkles alkoholfreies Weizen dabei, falls er Zeit hätte …
Diesmal stand er bereits am Gartenzaun, als ich vorbeikam – als hätte er mich erwartet. Wir begrüßten uns mit Handschlag.
Keine Angst mehr vor Corona?
Er winkte nur ab.
Ich hätte da ein paar alkoholfreie Bier dabei, falls Sie Zeit hätten …
Dunkles alkoholfreies Weizen?
Genau!
Nur her damit! Ich habe da hinten ein schönes schattiges Plätzchen mit Bänken und Tisch. Gehen Sie doch schon mal vor. Ich hole ein bisschen Brotzeit.
Ich hatte Zeit, mich ein bisschen umzuschauen: Ein großer Garten mit viel Wiese, ein bisschen Gemüse und Blumen und Bäumen vermutlich einfach dort, wo sie von selbst gewachsen waren.
Bald saßen wir vor einem Tisch mit Gurke, Tomaten, Käse, Wurst und Brot. Zwei Weißbiergläser hatte Herr T natürlich auch mitgebracht.
Das ist wirklich ein tolles Getränk, sagte der Teufel, als wir die Gläser wieder absetzten. Habe ich lange nicht mehr getrunken.
Sie kennen es also?
Ja ja. Ich trinke auch nur alkoholfreie Getränke wie Sie.
Na darauf gleich noch einmal Prost!
Eine Weile saßen wir einfach da und aßen und tranken.
Und: Urlaub ist ja bald zu Ende. Dann geht es für Sie wieder ans Predigen.
Ja genau. Eben habe ich überlegt, ob ich meinen ‚Schäfchen‘ von meiner Begegnung mit Ihnen erzählen sollte oder lieber nicht.
Haben Sie etwa noch nie über den Teufel gepredigt?
Selten, ehrlich gesagt. Aber wenn, dann sicher nicht über einen freundlichen Herrn, der in Oberfranken ein Häuschen am Waldrand bewohnt. – Oder sind wir hier schon in Thüringen?
Das Haus steht in Oberfranken. Aber das Grundstück war vor 30 Jahren teilweise noch Niemandsland, also eigentlich schon DDR. Sehen Sie da hinten: Da geht direkt das grüne Band hinterm Zaun vorbei. Da standen die Grenzanlagen und das alles.
Teufelswerk, wenn man so will … – Ich konnte meine Zunge nicht im Zaum halten.
Ja, so nennt ihr solche Dinge gerne. Aus unserer Sicht ist es eher Menschenwerk.
‚Unserer‘ Sicht …? Gibt es wohl mehrere von Ihrer Sorte?
Hmm. Das ist eine schwierige Frage …
… und vermutlich Betriebsgeheimnis.
Ja, das auch.
Schweigen.
Wissen Sie was. Sie haben mir so viel Vertrauen entgegengebracht wie sonst niemand. Also möchte ich es umgekehrt auch so halten: Ich verrate Ihnen ein kleines bisschen mehr über unsere ‚Firma‘, wie Sie es vor ein paar Tagen genannt haben, und Sie versprechen, mit diesem Wissen sorgfältig umzugehen.
Abgemacht?
… – Abgemacht!
Wir reichten uns die Hände.
Sie haben einen Moment gezögert, stimmts?
Ehrlich gesagt: Ich musste kurz an die vielen Geschichten von einem Pakt mit dem Teufel denken.
Er lachte.
Ja, das kann ich nachvollziehen. – Aber keine Angst: Ich bin wirklich niemand, der sich für den Erwerb menschlicher Seelen interessiert. Das ist ebenfalls eher Menschen- als Teufelswerk.
Falls es so etwas wie eine ‚Seele‘ überhaupt gibt.
Ja, diese Frage wäre dann auch erst zu klären. Das gäbe jetzt eine interessante theologische Diskussion. Aber Sie wollten ja etwas über meine ‚Firma‘ wissen …
Stimmt. Obwohl eine theologische Diskussion mit dem Teufel auch eine verlockende Aussicht ist.
Also was jetzt?
Die ‚Firma‘: Wie groß ist sie überhaupt? Wie viele Mitarbeiter (oder sind es auch Mitarbeiterinnen)? Die muss es ja geben, wenn Sie hier so in Ruhe sitzen und scheinbar Ihren Ruhestand genießen können …
Tja. Das liegt daran, dass ihr Menschen ja die allermeiste Arbeit selbst erledigt. Insofern könnte ich behaupten, dass ich mehr als 7 Milliarden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen habe. Tatsächlich habe ich aber nur einen bzw. eine.
Und wer ist das?
Das ist die Schlange aus dem Garten Eden. Oder genauer gesagt: Es ist das Wesen, das in dieser Geschichte als Schlange auftritt.
Wie? Ein Auftritt, und das wars? Das klingt ja nach einem Minijob für ihren Mitarbeiter.
Meine Mitarbeiterin – zumindest in dieser Geschichte!
Nein, sie hat wesentlich mehr zu tun. Wenn man es genau nimmt, ist sie fast immer und überall dabei – nur meistens unsichtbar, ohne großen Auftritt als Schlange oder was auch immer. Das ist das Gegenteil eines Minijobs. Da würde ich schon eher von ‚Schein-Selbstständigkeit‘ sprechen.
‚Das Böse‘ in uns also gewissermaßen?
Ganz so einfach ist es nicht.
Das heißt …?
Der Teufel trank den letzten Schluck aus seinem Glas und fragte mich, ob er sich noch eins einschenken dürfe.
Selbstverständlich! Dafür habe ich es schließlich mitgebracht und haben Sie vorhin die Flaschen kaltgestellt.
Schön. Dann bringe ich Ihnen auch gleich noch eine mit.
Ich war mit meinen Gedanken alleine. „Nicht ganz so einfach …“ Das hätte ich mir ja denken können. Schließlich war in dieser Welt selten etwas wirklich einfach. Und der Teufel wäre vermutlich der letzte, der es einem einfach machen würde.
Jetzt sind wir doch mitten in die theologischen Fragen hineingerutscht. Der Teufel nahm den Gesprächsfaden wieder auf, nachdem wir uns eingeschenkt hatten. Das erinnert mich an meine Gespräche mit Gabriel. Die bleiben auch nie harmlos.
Sie kennen den Erzengel?
Natürlich kenne ich Gabriel; und auch Michael. Sie waren schon oft hier; oder wir treffen uns mal hier oder dort. Mit Michael mache ich meistens Sport. Aber mit Gabriel sitze ich oft so wie mit Ihnen da und wir reden über Gott und die Welt. Oder wie es einer eurer Schriftsteller einmal schön ausgedrückt hat: über „das Leben, das Universum und den ganzen Rest.“
Oh je: Da flammt bestimmt ständig theologischer Streit zwischen Ihnen beiden auf!
Streit? Nein, so würde ich das nicht sagen. Wir schauen halt bloß von sehr unterschiedlichen Seiten aus auf diese Fragen. Das ist theologisch ziemlich interessant und ergiebig. Der liebe Gott ist jedes Mal ganz neugierig auf unsere Ergebnisse. Obwohl er dann immer nur sagt: „Das war mir schon lange klar.“
Gabriel muss ihm dann also von euren Gesprächen berichten?
Gabriel oder ich, ja.
Sagen Sie bloß, Gott war auch schon hier!?
Natürlich, was denken Sie denn. Und wenn Sie mir die letzten beiden Flaschen hierlassen, dann bekommt er das nächste Mal dunkles alkoholfreies Weizen zum Trinken.
Erst einmal musste ich einen großen Schluck trinken.
Gibt es dann auch immer theologische Diskussionen oder sogar Streit?
Nein, niemals! Es würde auch keinen Sinn machen, mit Gott selbst über Gott und die Welt zu reden. Für den lieben Gott ist da ja immer schon alles klar. Das Problem ist nur, dass niemand sonst diese Klarheit versteht. Selbst Jesus und der Heilige Geist haben manchmal Probleme, seinen Gedanken zu folgen.
Worüber reden Sie beide denn dann, wenn nicht über Theologie?
Über die alten Zeiten zum Beispiel, was wir da so gemeinsam erlebt haben: der Turmbau zu Babel; die Sache mit Hiob; natürlich auch über Jesus und so. Oder der liebe Gott erzählt von seinen Besuchen in Dinslaken; von seinen Fahrradtouren. Aber er hört auch gerne zu, was ich hier so erlebe. Er ist überhaupt ein guter Zuhörer: viel besser als viele von euch glauben.
Ich wusste mal wieder nicht, was ich von den Worten des Teufels halten sollte: War er wirklich so eng mit Gott und den Engeln? Und auf der Bank, auf der ich jetzt saß: War dort tatsächlich auch schon Gott gesessen? Andererseits: Wenn Gott überall ist …
Wissen Sie was, sagte der Teufel in meine Verwirrung hinein. Lassen Sie uns ein anderes Mal weiterreden. Sie müssen jetzt, glaube ich, erstmal nachdenken, und ich habe noch einigen Papierkram zu erledigen. Sie glauben ja gar nicht, wie schwierig das mit der Rente ist, wenn man so alt ist wie ich.
So verabschiedeten wir uns voneinander, wollten aber in Kontakt bleiben. Er schrieb mir seine E-Mail-Adresse, Festnetz- und Handynummer auf.
Guten Start nach dem Urlaub, wünschte er mir noch. Dann verschwand er in seinem Haus.
Ich blieb noch eine Zeitlang sitzen, bevor ich mich auf den Weg machte.